Samstag, 29. April 2017

95 Thesen der neuen Reformation




1.

Was zu Luthers Zeiten begann, hat heute einen neuen Höhepunkt: das Monopol des Geldes. Die Demokratie ist in Gefahr. Der innere und äußere Frieden sind bedroht. Der soziale Zusammenhalt ist gestört. Die Vorherrschaft eines neoliberalen Mainstreams ließ die Politik sich weltweit an den Vorgaben der Finanzmärkte und den Interessen des oberen, reichen einen Prozents der Bevölkerung ausrichten. Die 8 reichsten Männer der Erde besitzen ebenso viel wie die 3,6 Milliarden der armen Hälfte der Menschheit. Eine Umkehr, eine Reformation ist nötig.

2.

War es vor 500 Jahren die Käuflichkeit des Seelenheils der Gläubigen durch den Ablasshandel, die Ausdruck einer großen Krise war, ist es heute die Unterordnung der Politik unter die Vorgaben der Finanzmärkte. Gott oder Mammon – du kannst nicht beiden dienen, hieß es zu Zeiten von Jesus und vor 500 Jahren. Demokratie oder Finanzmarkt-Kapitalismus – dies ist die Frage unserer Zeit.

3.

Andauernde Unterentwicklung, 800 Millionen Menschen, die Hunger leiden, Hunderttausende Tote in Kriegen, Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene, und der dramatische Klimawandel haben sich verhängnisvoll verknüpft. Ihre Kehrseite sind exorbitanter Reichtum und Luxus. Dass die EU-Kommission stattdessen ausgerechnet die Finanzmarkt-Richtlinie des Parlaments, mit der die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln gestoppt werden sollten, so verändert hat, dass sie praktisch wirkungslos wird, kann nur empören. Die von der EZB, dem IWF, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble durchgesetzte Austeritätspolitik hat zudem dazu geführt, dass Jugendarbeitslosigkeit und Armut im Süden der Europäischen Union dramatische Dimensionen angenommen haben.

4.

Wurden mit dem Ablasshandel die globalen Imperien von Karl V. und Papst Leo X. sowie das Wuchersystem der Peruzzi und Bardi, der Fugger und Welser und ihr System von Kolonialismus, Völkervernichtung und Sklavenhandel finanziert, sind es heute der globale Finanzmarkt-Kapitalismus und seine Anhäufung von Vermögensansprüchen, die aus der Produktion des globalen Bruttosozialprodukts finanziert werden müssen.

5.

Zu Recht fasst der US-Ökonom Michael Hudson zusammen, dass ein Prozent der Bevölkerung mit ihrem Finanzvermögen und anderem Reichtum „die restlichen 99 Prozent, aber auch Unternehmen und ganze Staaten, in permanenter Verschuldung … halten.“ Dies macht eine demokratische Politik der Solidarität, der Erhaltung der Natur und des Friedens unmöglich.

6.

Vor 500 Jahren entstand das System des globalen Kapitalismus. Heute müssen wir ihm endlich wieder Zügel anlegen. Nicht zuletzt ist die Krise seit 2008 ein weiterer Warnschuss.

7.

Es ist ein gesellschaftszerstörendes und naturvernichtendes System. Papst Franziskus bringt es auf den Punkt: „Ebenso wie das Gebot ‚du sollst nicht töten‘ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, so müssen wir heute ‚Nein zu einer Wirtschaft und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft tötet.“

8.

Das Finanzsystem ist außer Kontrolle. Sein Crash hat nicht nur im Finanzsektor selbst verheerende Schäden verursacht. Es reißt auch die Realwirtschaft, Ökologie, Entwicklung des Südens und den Frieden in den Abgrund.

9.

Die Schuldenberge wachsen ungebrochen. 2015 erreichten sie global den Rekord von 152 Billionen US-Dollar. Das sind 225 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts (also ~67,6 Billionen **) ). Ein Drittel davon sind öffentliche Schulden. Solidarische Entwicklung wird dem Schuldendienst geopfert.

10.

Besonders bedroht sind nicht nur die Krisenländer der Euro-Zone, sondern vor allem auch die Entwicklungsländer. Zwischen 2009 und 2014 stieg die jährliche Ausgabe von Staatsanleihen in Niedrigeinkommens-Ländern von 2 Mrd. auf 18 Mrd. US-Dollar.

11.

Vielen Ländern des Südens drohen die Schuldenfalle und der Staatsbankrott.

12.

Die Armen bezahlen die Bereicherung der Reichen. Die Krise hat die sozialen Probleme verschärft.

13.

Wachsende Ungleichheit hat mehrere Ursachen, aber die Dynamik auf den Finanzmärkten wurde zum stärksten Antreiber sozialer Polarisierung – schon lange vor der Krise.

14.

Die Privatisierung der Daseinsfürsorge – Renten und Gesundheit – bietet dem Finanzkapital neue und höchst attraktive Verwertungsmöglichkeiten – zu Lasten der Sicherheit dieser Systeme und der Menschen, die darauf angewiesen sind.

15.

Ein Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Immer mehr Ökonomen warnen vor den Folgen einer neoliberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik, die das Entstehen von weiteren Krisen befördert.

Der Finanzkapitalismus übernimmt die Vorherrschaft

16.

Am Anfang standen politische Entscheidungen von Regierungen. Sie haben die Kontrolle über die wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen den Finanzmärkten übergeben.

17.

Der Finanzsektor wuchs in absurde Größenordnungen. Zwischen 1980 und 2007 stieg der Devisenumsatz um das 30-fache. Im Krisenjahr 2008 war das Volumen allein von Kreditderivaten zehn Mal größer als das Bruttosozialprodukts (BIP) aller Staaten der Erde. Der Bestand an Derivaten der Deutschen Bank belief sich noch 2016 auf 46 Billionen Euro – mehr als das fünfzehnfache des deutschen BIP.

18.

Die Dynamik der Finanzmärkte wurde zum Motor einer Globalisierung, bei der die Gewichte massiv zu Ungunsten der Demokratie hin zum Markt verschoben wurden.

19.

Die Finanzmärkte entzogen sich dem regulatorischen Zugriff der Nationalstaaten. Von der Rolle des Dienstleisters für Realwirtschaft und Gesellschaft schwangen sie sich zu deren Herren auf.

20.

Die Profitinteressen des Finanzkapitals wurden zu alternativlosen Sachzwängen verklärt.

21.

Der sozial und demokratisch eingehegte Kapitalismus der Nachkriegsära wurde auf dem Altar der Finanzmärkte geopfert.

22.

Die Globalisierung der Finanzmärkte führt zur Erosion der Demokratie. „Anleger müssen sich nicht mehr nach den Anlagemöglichkeiten richten, die ihnen ihre Regierung einräumt, vielmehr müssen sich die Regierungen nach den Wünschen der Anleger richten“, schrieb 2000 der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, voller Stolz.

23.

Das ist die marktkonforme Demokratie, wie sie leibt und lebt – noch lange bevor die Kanzlerin sich zu ihr bekannte.

24.

Es ist so über drei Jahrzehnte ein Monster herangewachsen. Manche sprechen von Finanzialisierung, andere von Kasino und andere wiederum von Finanzkapitalismus. Wie immer man es bezeichnet, wir sind mit einem neuen, einem extrem gefährlichen Typus von Finanzsystem konfrontiert.
25.

Die Geschichte des Krisenmanagements war von Anfang an eine Geschichte der Halbheiten, Sackgassen und Wirkungslosigkeit.

26.

Dabei hatte es anfangs so ausgesehen, als ob die Politik unter dem Schock der Krise etwas verstanden hätte. „Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn hier erlebt haben mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selbst auf,“ so der damalige Finanzminister Peer Steinbrück. Die G20-Gipfel von London und Pittsburgh 2009 schienen auf dem richtigen Weg, als sie ankündigten, die entfesselten Finanzmärkte wieder an die Kandare nehmen zu wollen.

27.

Dann retteten die Regierungen die Banken mit gigantischen Summen an Steuermitteln. Die Reichen wurden geschützt.

28.

Als Folge davon wurde aus der Finanzmarktkrise eine Staatsschuldenkrise. Die öffentlichen Schulden schossen in die Höhe. Es war eine Vergesellschaftung privater Verluste in dramatischem Ausmaß.

29.

Dem gegenüber muss die Bevölkerung der Krisenländer Europas den Preis in Form der Austeritätspolitik konservativer Regierungen bezahlen.

30.

Die Demokratie wurde im Zuge des Krisenmanagements ausgehöhlt und europäischer Nationalismus gefördert. Weitreichende Entscheidungen wurden von der Exekutive in einem Tempo durchgepeitscht, das teilweise Volksvertreterinnen und Volksvertretern nicht mal Zeit ließ, die Gesetzesvorlagen zu lesen.

31.

Treibende Kraft hinter der sozial und wirtschaftlich zerstörerischen Austeritätspolitik sind seit Jahren die konservativen Regierungen in Europa – und nicht zuletzt die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister Schäuble, die das Diktat der Austerität wie ein Mantra vor sich hertragen.

32.

Wenn es trotzdem noch nicht zu einem großen Knall gekommen ist, dann nur aufgrund der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Hilfspakete des Internationalen Währungsfonds.

33.

Doch mehr als Zeit kaufen kann die EZB nicht. Je länger dies dauert, desto mehr gerät sie in die Lage einer Feuerwehr, der das Löschwasser ausgeht.
34.

Wichtiger denn je ist es daher, die Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu stärken. Auch diese sind in der aktuellen Situation unter Druck geraten.

35.

Auch rächt sich jetzt die jahrelang gepredigte Privatisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Unter Nullzins-Bedingungen können private Alters-, Lebens- und Gesundheitsversicherungen nicht mehr die nötigen Mindestrenditen erwirtschaften. Hier rächt sich, dass die Alterssicherungssysteme teilweise in Systeme mit Kapitaldeckung überführt wurden.

36.

Die EZB druckt billiges Geld, ohne dass jedoch die Europäische Union eine sinnvolle Investitionsstrategie dafür bereithält. Und so versickern die günstigen Zinsen, ohne wirtschaftlichen Sinn und Verstand.

37.

Ja, Reformen gab es.

38.

Die Eigenkapitalanforderungen wurden verschärft. In den USA wurden auch Schritte zur Trennung von traditionellem Geschäft und Investmentbanking unternommen. Das Geschäft mit nicht-börsengehandelten Derivaten, der sogenannte over-the-counter-Handel, soll durch Clearingstellen transparenter werden. Leerverkäufe, d. h. die Spekulation auf fallende Kurse, wurden eingeschränkt.

39.

Kleinere Korrekturen gab es bei der Aufsicht der Banken, bei Rating Agenturen, Hedge Fonds, Anlegerschutz und besonders riskanten Produkten, wie Kreditausfallversicherungen.

40.

Inzwischen ist die Reformdynamik erlahmt. Mehr noch, in der EU setzte unter der Juncker-Kommission ein Roll-back ein. Mit dem Projekt der Kapitalmarktunion wird wieder der Einstieg in Deregulierung gesucht. Und in den USA nimmt Präsident Trump die Banken-Reformen inzwischen zurück.

41.

Die Austrocknung von Off-Shore-Zentren und Steuersümpfen ist kaum vorangekommen, wie Luxemburg Leaks und Panama-Papers uns vor Augen führen.

42.

Auch die Konzentration hat zugenommen. Die großen Banken bewegen heute noch größere Summen als vor der Krise. Im Schattenbankensektor werden einzelne Spieler, wie der Pensionsfonds Blackrock, immer größer und mächtiger.
43.

Die Reformen haben allenfalls das Kasino etwas sicherer gemacht – vor allem für die Spieler. Aber: „Nichts außer der Schließung des großen Kasinos wird zu einer dauerhaften Lösung führen,“ wie die UNCTAD feststellt.

44.

Auch die Problemlösungsfähigkeit der Politik scheint überfordert. Vielmehr nehmen Standortegoismus, Nationalismus, Konkurrenzverhalten und Abschottung zu. Der Multilateralismus steckt in der Krise. Global Governance scheint nicht mehr zu funktionieren. Jeder handelt auf eigene Rechnung.

45.

Die Chancen, globalen Handel fair zu gestalten, sind in Zeiten von Trump leider gesunken. Dieser Präsident stellt nationale Interessen ins Zentrum seines Tuns.

46.

Der Finanzsektor, einst Avantgarde der Globalisierung, bringt zunehmend Merkmale einer selektiven Deglobalisierung hervor. Die Chancen, das Finanzsystem als globales öffentliches Gut zu gestalten, sinken.

47.

In der Europäischen Union (EU) sind die Problemlösungsdefizite noch deutlicher. Was so schön realpolitisch und bodenständig klingt, Angela Merkels „Fahren auf Sicht“ läuft auf die Nichtbearbeitung der Probleme hinaus.

48.

Zu einem Befreiungsschlag scheinen die EU-Regierungschefs und die Kommission in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht mehr fähig. Durchwursteln ist die einzige Strategie. Solange die EZB mit ihrer Lenzpumpe aus Nullzins und Quantitative Easing den leckgeschlagenen Kahn vor dem völligen Absaufen bewahrt, lebt man in der Illusion, dass schon nichts passieren wird. Doch die Situation spitzt sich von Jahr zu Jahr weiter zu.

49.

Die Finanzmärkte befeuern weiterhin die globale Erwärmung. Noch immer fließen hunderte Milliarden Euro jährlich in fossile Brennstoffe statt in erneuerbare Energien und die ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft.

Das Finanzsystem unter demokratische Kontrolle bringen.
Prinzipien der Neuordnung
50.

Zentraler Bestandteil für die Verteidigung von demokratischer Gestaltung der Gesellschaft wie für eine andere Wirtschaftspolitik ist heute eine substanzielle Reform des Finanzsystems. Ein solches Projekt wird aber nur dann nachhaltige Wirkung erzielen, wenn es die Probleme an der Wurzel packt.

51.

Stabile und funktionierende Finanzmärkte sind ein öffentliches Gut. Luther forderte vor fast 500 Jahren: „Man müsste dem Fugger und dergleichen Gesellschaft einen Zaum ins Maul legen.“ Das hat an Geltung nichts für die Ackermanns und dergleichen Gesellschaft verloren und muss erneuert werden.

52.

Das Finanzsystem soll der Realwirtschaft und Gesellschaft dienen.

53.

Finanzmärkte müssen für die Finanzierung des ökologischen Umbaus, einer solidarischen Entwicklungspolitik, einer sozialen Perspektive der Europäischen Union und der sozialen Modernisierung der Gesellschaft befähigt werden.

54.

Demokratische Politik bekommt wieder Kontrolle über Märkte und Akteure.

55.

Der volkswirtschaftlich unnütze Kasinobetrieb wird eingestellt.

56.

Die Finanzmärkte müssen zurückschrumpfen auf ein für die Realwirtschaft nützliches Maß.

 57.

Das gesamte System muss entschleunigt werden.

58.

Die Komplexität des Systems muss reduziert werden.

59.

Der öffentliche Bankensektor muss gestärkt und ausgebaut werden, u. a. auch durch Privilegierung gegenüber dem Privatsektor. Das hat Vorrang vor dem EU-Wettbewerbsrecht.

60.

Statt geopolitisch motivierten Handelskriegen brauchen wir eine Kultur der Kooperation und Rücksichtnahme bei der Gestaltung der Weltwirtschaft.

61.

Für Schattenbanken sind viel strengere Regeln nötig.

62.

Große und komplexe Banken wollen wir in der Krise leichter abwickelbar machen. Mindestens sollen Banken ihr Einlagengeschäft und ihr Handelsgeschäft trennen und unter einem Dach unabhängig führen und mit Kapital ausstatten.

63.

Hedge Funds, Private Equity Funds und anderen Spekulanten setzen wir wirksame Grenzen.

64.

Derivate bedürfen grundsätzlich einer Unbedenklichkeitsprüfung durch die Finanzaufsicht. Die Beweislast liegt bei den Ausgebern der Produkte.

65.

Für den Zahlungsverkehr führen wir elektronisches Zentralbankgeld ein. Das wäre ein Firewall für dieses zentrale Element des Finanzsystems, falls es doch noch zu Finanzkrisen kommt. Im digitalen Zeitalter ist ein solches System weitgehend automatisiert und mit geringem Aufwand möglich.

66.

Offshore-Zentren und Steuersümpfe werden ausgetrocknet. Solange das nicht international abgestimmt möglich ist, sind auch unilaterale Maßnahmen möglich, wie die Erhebung von Strafsteuern.

67.

Der Hochgeschwindigkeitshandel wird ausgebremst. Das schaltet die systemischen Risiken des Hochgeschwindigkeitshandels aus und beseitigt die Wettbewerbsverzerrungen, die er erzeugt.

68.

Banken verordnen wir eine einfache und harte Schuldenbremse.

69.

Kapitalverkehrskontrollen sind legitime Instrumente der Kapitalmarktregulierung. Ihre Anwendung im Krisenfall hat Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit.

70.

Renten, Gesundheit und andere Dienstleistungen der Daseinsvorsorge werden als öffentliche Aufgabe organisiert.

71.

Rating Agenturen bekommen erfolgsabhängige Prämien, auch aus öffentlichen Quellen. Bisher zahlt der Bewertete für die Bewertung unabhängig davon wie Akkurat die Bewertung war. Insbesondere muss die prozyklische Wirkung von Ratings unterbunden werden. Soziale und ökologische Kriterien müssen in das Rating integriert werden.

72.

Die Aufsicht wird mit größeren Ressourcen ausgestattet – finanziell, personell, juristisch, technisch.


Eine neue Reformation und eine andere Welt sind möglich

73.

Ziel ist nachhaltiger Wohlstand und Lebensqualität durch beispielsweise Ausbau der Infrastruktur für Bildung, Gesundheitsvorsorge, Pflege, des öffentlichen Nahverkehrs als Grundgüter eines guten Lebens für alle, für jede und jeden.

74.

Der Schatz der Kirche sind die Armen, zitiert Luther in seinen Thesen den Heiligen Laurentius. So sind der Schatz einer guten Gesellschaft heute der Grad an Gerechtigkeit, den sie allen bietet.

75.

Eine gerechte Politik misst sich daran, dass sie darauf wirkt, jeder und jedem, auch den sozial Schwächsten unter uns, den Zugang zu den Gütern eines freien Lebens zu sichern.

76.

Nach Jahrzehnten muss endlich die Umverteilung von Unten nach Oben, von Produktion und Natur zu Finanzmärkten, von Frauen zu Männern und von Süd nach Nord umgekehrt werden.

77.

Die umfassende Privatisierung gesellschaftlichen Reichtums muss einer Vergesellschaftung weichen zugunsten von Investitionen in sozialen Zusammenhalt, die Grundversicherung der Ärmsten sowie den ökologischen Umbau durch eine gerechte steuerliche Heranziehung großen Eigentums, hoher Einkommen und des Reichtums. Die schwächeren Länder müssen durch Schuldenerlass dabei unterstützt werden.

78.

Nach wie vor steht in Deutschland eine gerechte, sozial und wirtschaftlich produktive Erbschaft- und Vermögensteuer aus.

79.

Gefördert werden müssen eine solidarische Wirtschaft und ein solidarisches Leben auf der Basis einer solidarischen Finanzierung.

80.

Wenn wir wollen, dass Menschen nicht mehr flüchten müssen, dann geht es nur über den Abbau von Fluchtursachen, über die Überwindung von Kriegen, von Elend, Armut und ökologischem Niedergang. Das schließt den Widerstand gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein.

81.

Die Durchsetzung des Verbots von Rüstungsexporten in Krisenregionen und an Diktaturen sowie globale Abrüstung tragen nicht nur zu mehr Sicherheit und zur Begrenzung bedrohlicher Kriege bei, sondern werden selbst finanzielle und politische Mittel gerade auch für die Menschen im Süden freisetzen.

82.

Notwendig ist ein globaler Marshallplan mit entwicklungsfreundlichen Veränderungen der weltwirtschaftlichen Strukturen zugunsten eines fairen Handels, von Investitionen in die Armutsbekämpfung und des ökologischen Umbaus bei uns und im Süden, der ohnehin schon dramatisch durch den Klimawandel betroffen ist.

83.

Die von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble durchgepeitschte Austeritätspolitik in der EU muss beendet werden.

84.

Stattdessen benötigt die EU eine umfassende Investitionsinitiative für den Übergang zu regenerativen Energien, nachhaltigen inklusiven Systemen der Wohnungswirtschaft, des Verkehrs, der Bildung und Kultur, Gesundheit und Pflege.

85.

Der deutsche Exportüberschuss, der für viele andere europäische Staaten und die europäische Integration zerstörerisch ist, kann durch stärkere Binneninvestitionen umgelenkt werden. Gleichzeitig könnten deutsche Haushaltsüberschüsse einmalig für die Errichtung eines europäischen Investitionsfonds genutzt werden.

86.

Schon lange hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass die ökonomischen und sozialen Verwerfungen früher oder später in politische Katastrophen münden können, so warnte Alain Badious vor einem „demokratischen Faschismus“. Bereits die Weltwirtschaftskrise 1929 war eine der Ursachen für den Aufstieg des Faschismus.

87.

Der Geist des Neoliberalismus, der als Sachzwang einer globalisierten Wirtschaftsordnung daherkam, hat wirtschaftliche Unsicherheit produziert und Angst vor dem Abstieg erzeugt. Die Wirkung der Austeritätspolitik kam dann noch einmal oben drauf.

88.

Abgehängt, entwürdigt, erbittert und wütend wendet auch ein Teil der Menschen sich jetzt einer Rechten zu, die ihnen Sicherheit, Respekt und Teilhabe verspricht. Dabei erliegen sie der Illusion, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit könnten ihre Probleme lösen.

89.

Der weitere Aufstieg der populistischen Rechten kann auch durch eine andere Wirtschafts-,  Sozial- und Friedenspolitik gestoppt werden.

90.

So wie Luther die Gläubigen in seinen Thesen 94 und 95 ermutigte, so benötigen die Menschen in Deutschland, in Europa und der Welt eine eigene realistische Zuversicht, dass die geballten und schwierigen Herausforderungen für ihre soziale Situation sowie durch Kriege, Not und Klimawandel gelöst werden können.

91.

Ohne Hoffnung, so Salomon, werden die Menschen wüst und wild. Menschen, die lediglich auf Lösungen von Oben oder Außen warten, werden sie jedoch nicht bekommen.

92.

Dort werden sie nur die Vorherrschaft der Finanzmärkte und ihrer Interessen vorfinden.

93.

Es geht um nicht weniger als um die Vormacht von Demokratie und Menschenrechten, die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen durch solidarisches Handeln auch gegen die Finanzmärkte.

94.

Doch anders als selbstbewusst und selbstverantwortlich wird eine solche Reformation der Gesellschaft von den Menschen nicht erreicht werden.

95.

Nur durch den Druck aus der Gesellschaft und bürgerschaftliches Engagement wird es möglich sein, die Reformblockade im politischen und gesellschaftlichen System zu überwinden.


Blogger's Kommentare 

*) Die Thesen sollten am 23.04.2017 auf dem Platz vor der Wittenberger Schlosskirche vorgestellt werden. Als Autoren der Thesen werden genannt: Brüder André und Michael Brie, Theologe Ulrich Duchrow , Gregor Gysi, Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel , Peter Wahl.

**) Verhältnis des gesamten Vermögens zu dem Bruttosozialprodukt ist etwa 3:1, d.h. wenn das Gesamtweltvermögen ist ~200 Billionen US Dollars lediglich 50 Billionen davon, etwa ¼ ist schuldenfrei, ¾ gehört den Gläubiger.



Der Text der Autoren *) in HTML gestaltet und kommentiert von von Johannes-Paul Wucherer und Benedikt Zinser 29.04.2017.